Tatsache Nr. 36:
Der 19-Jährige Philip hatte erst ein einziges Mal eine Freundin gehabt, wobei
die Beziehung von relativ kurzer Dauer gewesen und für ihn nicht glücklich
ausgegangen war.
Tatsache Nr. 37:
Philip nutzte kostenpflichtige Sexhotlines in einem Rahmen, den er sich eigentlich nicht leisten konnte. Dabei kann sehr schnell eine
Sucht entstehen, wie viele Fälle belegen, in denen Männer sich in dieser Weise finanziell ruinierten.
Erstaunlich ist, dass dieser
Aspekt im Urteil nicht diskutiert wurde, obwohl im Urteil umfassend darauf eingegangen wird, dass Philip Geld aus der Klassenkasse
unterschlagen hatte. Tatsächlich ist kostspielige Sucht, ob nach Drogen, nach Sex mit einer bestimmten Partnerin (ob persönlich oder
telefonisch), nach Glücksspiel oder was auch immer, ein klassisches Motiv für Eigentumsdelikte wie Diebstahl oder Unterschlagung.
Kriminologen und Kriminalisten reden insofern von "Beschaffungskriminalität". Unter dem Druck einer solchen Sucht kommt es sehr oft
vor, dass Leute, die niemals zuvor gestohlen oder unterschlagen haben, plötzlich damit beginnen, solche Dinge zu tun.
Tatsache Nr. 38:
Philip hatte nach seinen Angaben seit Jahren hunderte von Chat-Kontakten mit Mädchen, bei denen er nicht nur anonym blieb, sondern
auch eine weibliche Identität vortäuschte.
Tatsache Nr. 39:
Angegebene Motive für die unter falscher Flagge betriebenen Chats:
- Neugierde. Es ist glaubhaft, dass ein junger Mann, der sich nach einer Freundin sehnt und betreffend die Frauen
unerfahren ist, einen solchen Weg beschreitet, um mehr über das Denken und Fühlen von Frauen zu erfahren.
Es ist zudem nicht besonders verwerflich, solange er diskret mit Gesprächsinhalten umgeht. Denn tatsächlich muss bei
anonymen Chats auch damit gerechnet werden, dass jemand ein anderes Geschlecht vortäuscht.
Philip nutzte so erhaltene Informationen in Einzelfällen in intriganter Weise aus, aber auch das macht ihn nicht außergewöhnlich. Die
Jugendlichen wie die Erwachsenen von heute sind nicht alle Engel, man muss leider von einer gewissen
allgemeinen Verrohung der Sitten ausgehen.
- Rache. "Racheakte" aufgrund "selbst erlittener Verarschung" sind ebenfalls glaubhaft, und können grundsätzlich sogar als
verständlich gewertet werden.
Glaubhaft ist es auch, dass er grundsätzlich nicht daran dachte, mit solchen Chatpartnerinnen jemals persönlichen Kontakt aufzunehmen,
denn dafür ist die Vorgehensweise, falsch unter weiblichem "Nick" aufzutreten, erkennbar ungeeignet.