Die Volkszeitung
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Die Chancen der Krise 2012, Teil 2
15. Juli 2012

Oberziele und Strategien für eine Neuorientierung und das "Ikea-Prinzip"

Ladies and Gentlemen!

Wenn ein Wirtschaftssystem verändert werden soll, dann muss das selbstverständlich vor dem Hintergrund klarer Oberziele geschehen. Dabei ist ein Oberziel wie Vollbeschäftigung zwar leicht gesagt, aber es ist zunächst einmal nicht unmittelbar praktikabel: Es wäre so, also würde man einem Depressiven sagen: "Sei doch einfach glücklich!" Außerdem könnte man Vollbeschäftigung natürlich auch in einer Sklavenhalter-Sklaven-Gesellschaft realisieren. Ohne zusätzliche Ziele ist das Oberziel Vollbeschäftigung daher nicht einmal sinnvoll definiert.

Entsprechend muss man von einem Bündel an Oberzielen ausgehen, die man insgesamt anstrebt, und dann in einem zweiten Schritt grundlegende Strategien entwickeln, die an diesem Bündel von Oberzielen zu messen sind.

Sinnvolle strategische Ziele

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich einmal einige Oberziele, die sinnvoll sind. Die Nummerierung ist lediglich nominal, nicht ordinal zu verstehen, d.h., sie gibt keine Rangfolge wieder:

1. Vollbeschäftigung im Rahmen sinngebender Arbeit. Damit ist einerseits gemeint, dass es nicht darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, die auf Lug und Trug bauen und dazu dienen, Kunden quasi zu betrügen, wie man es unter anderem aus dem Bereich des Verkaufs von Finanzanlagen kennt. Unter sinngebender Arbeit soll zweierlei verstanden werden: Sie muss einerseits den Fähigkeiten der eingesetzten Menschen in der Weise gerecht werden, dass ein jeder die von ihm ausgeübte Arbeit ohne Überforderungsstress einwandfrei erfüllen kann. Das ist nicht nur menschlich gedacht, sondern auch notwendig, um ansonsten unvermeidbare Häufung von Fehlern in der Arbeit auszuschließen. Zweitens muss Arbeit sinngebend für die Gemeinschaft sein; so dass ein jeder, der seine Arbeit zuverlässig leistet, mit Stolz sagen kann: "Ich tue das und das."

2. Verteilungsgerechtigkeit. Wer bereit ist, in dem ihm zumutbaren Rahmen für das Gemeinwohl zu arbeiten, muss so versorgt werden, dass er ein sorgenfreies und menschenwürdiges Leben führen kann.

3. Minimierung des Ressourcenverbrauchs bei gegebenem Wohlstandsniveau. Das ist aus zwei Gründen wichtig: Erstens schont es die Umwelt, zweitens hält es die Kosten für die Realisierung eines angestrebten gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsniveaus niedrig.

4. Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität (Infrastruktur, Ökologie, artgerechte Tierhaltung, Bildung, Kultur, Gesellschaftsleben).

5. Strategisch ausgeglichene Handelsbilanzen (Exportüberschuss verschuldet andere, Importüberschuss das eigene Land)

6. Aufbau sinnvoller Auslandseinsätze (Katastrophenhilfe in Notfällen, Entwickungshilfe im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe, Schutz von Tropenwäldern und Naturreservaten, die für die ganze Menschheit bedeutsam sind). Dabei geht es nicht um linke oder grüne Romantik, sondern um handfeste Notwendigkeiten: Wenn man den Exitus des Gesamt-Öko-Systems Erde verhindern will, dann müssen alles Nationen daran arbeiten. Wenn man Hungersnöte und Kriege verhindern will, dann müssen alle Nationen daran arbeiten. Eine Nation, die sich in Sachen Katastrophenhilfe, Entwicklungshilfe und Naturschutz international wahre Achtung erarbeitet, kann im Falle eigener Nöte auf Freundschaftshilfe von anderen hoffen, und kann ihre Stimme glaubhaft erheben, um Misstände anzuklagen, und wird auch als Ratgeber eine hohe Akzeptanz haben.

Die Oberziele beinhalten Kostenersparnis

Ich kann und will nicht behaupten, mit diesen Oberzielen eine vollständige Auflistung geleistet zu haben. Ich hoffe aber, deutlich gemacht zu haben, dass es um mehr gehen muss als darum, nach einer Zeit X sagen zu können: "Damals hatten wir x+y Arbeitslose, heute haben wir nur noch x Arbeitslose!" Nicht aus Gründen politischer Romantik, sondern aus handfesten Gründen muss es um mehr gehen. So kann man ohne weiteres jedem oben genannten Ziel gesamtwirtschaftliche Kosten gegenüberstellen, die dann in höherem Maße zu tragen sind, wenn man ein bestimmtes Ziel außer Acht lässt:

ad 1. Erreicht man keine Vollbeschäftigung, dann muss man entweder unzumutbares Elend von Bevölkerungsteilen inkauf nehmen, oder aber Arbeitslose alimentieren. Gestaltet man Arbeit nicht so, dass sie sinngebend und zumutbar ist, dann hat man mehr krankheitsbedingte Arbeitsausfälle, höheren Verbrauch an Psychopharmaka und mehr Asozialität inkl. Kriminalität in der Gesellschaft, weil überforderte Menschen sich abzureagieren suchen - im schlimmsten Fall an ihren Kindern, was dann zu langfristigen sozialen Problemen führt.

ad 2. Erreicht man keine Verteilungsgerechtigkeit im beschriebenen Sinne, dann hat man permanent ein Potential an Unmut. Mit den im Prinzip selben Folgen, die eine Überforderung an den Arbeitsplätzen bewirkte.

ad 3. Die Minimierung des Ressourcenverbrauches bei vorgegebenem Wohlstandsniveau reduziert die Einführung von Rohstoffen, u.a. von Erdöl, reduziert damit unmittelbar Kosten. Sie kann aber auch dazu führen, dass ein sorgenfreies und menschenwürdiges Leben billiger finanziert werden kann, damit die Erreichung von Ziel 2. erleichtern.

ad 4. Die Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität schafft u.a. glücklichere Menschen. Und die sind seltener krank und bei der Arbeit besser motiviert.

ad 5. Strategisch ausgeglichene Handelsbilanzen ermöglichen u.a. den Verzicht auf Schmiergelder, schaffen aber auch ein positives Image im Ausland, was sich in vielen Punkten kostensenkend niederschlägt: Leben und leben lassen - mit dieser Devise kommt man unkompliziert durch das Leben, ohne Hass und Neid auf sich zu ziehen (Gegenbeispiel: Deutschland).

ad 6. Darüber, was es kosten würde, wenn man abgeholzte Tropenwälder ökologisch ausgleichen wollte, braucht sicherlich kein Wort verloren werden. Und darüber, was Militäreinsätze, die letztlich nötig werden, weil es in Entwicklungsländern Unterversorgung gibt, nicht nur an Geld kosten, braucht sicherlich auch kein Wort verloren werden. Was die Aufnahme schwer integrierbarer Asylanten kostet, kann zwar nur schwer errechnet werden, weil soziale Probleme nur schwer in Geldeinheiten ausgedrückt werden können, dürfte aber auch erheblich sein.

Flexibilisierung und "Ikea-Prinzip"

Neben diesen Oberzielen, die das aus guten Gründen Anzustrebende beschreiben, ist noch ein weiteres Oberziel zu nennen, was sich auf die Strukturen der Produktions- und Logistikprozesse bezieht: Flexibilisierung!

Das Ziel ist so wichtig, dass ich dazu etwas ausführen möchte: Wenn man sich sicher sein kann, dass von einem bestimmten Produkttyp langfristig eine bestimmte Anzahl benötigt wird, so sind die Produktionskosten dann am niedrigsten, wenn man den Produktionsprozess einschließlich der notwendigen Logistikprozesse (Beschaffung von Material, Distribution der hergestellten Produkte) speziell auf diesen langfristigen Bedarf einrichtet - also im Falle starker Spezialisierung. Das wurde im Neoliberalismus grundsätzlich praktiziert, Japan machte es in den 80-ger Jahren vor, wie auf dem Wege "Outsourcing", "Just-in-Time"-Lieferungen (senken Lagerkosten) und Produktion in "Leichenhallen" (aufgrund stark standardisierter Prozesse weitgehend automatisiert, fast ohne Personal) möglich wurden.

Dieses Prinzip hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Ein nach diesem Grundgedanken aufgebautes Wirtschaftssystem ist nicht nur stark spezialisiert, sondern hat auch - aus Kostengründen - keine Reserven, wenn etwas Unvorhersehbares eintritt - in Japan war das z.B. die Fukushima-Katastrophe, die einen Teil des Gesamträderwerkes ausschaltete und damit nachgelagerte Stufen ebenfalls lahm legte, ohne dass in vertretbarer Zeit ein Ersatz gefunden werden konnte.

Weiterhin ist eine so ausgelegte Produktion auch sehr anfällig, wenn auf Änderungen der Nachfrage nicht rechtzeitig reagiert wird: Griechen, Spanier und Italiener kaufen kaum noch Autos - und das wird Arbeitsplätze in der europäischen Autoindustrie kosten, letztlich in fünfstelligen Zahlen. Man kann das mit Nahrungsspezialisten in der Biologie vergleichen: Haben die Mäuse ein schlechtes Jahr, weil der Winter z.B. sehr hart war, dann geht die Zahl der Füchse zurück. Wildschweine, die so gut wie alles fressen, haben den Füchsen gegenüber enorme Vorteile. Es lässt sich nicht bestreiten, dass wir uns heutzutage in wandelnden Zeiten befinden, die seriöse langfristige Nachfrageprognosen nahezu unmöglich machen.

Entsprechend kann es nicht sinnvoll sein, auf die "abgespeckte" durchrationalisierte Produktion zu setzen, denn was man heute sparen könnte, würde man morgen mit hoher Wahrscheinlichkeit teuer bezahlen.

Sinnvoller könnte es an der Stelle sein, nur solche Prozesse "abgespeckt" zu gestalten, die nur in großem Stile kostengünstig durchzuführen sind, andererseits Prozesse, die auch von kleinen Betrieben sinnvoll ausgeführt werden können, von flexiblen Kleinbetrieben ausführen zu lassen. Von Kleinbetrieben, die in ihrer Masse insgesamt flexibel eingesetzt werden können, wie ich an einem einfachen Beispiel darstellen möchte:

Ausgegangen sei von drei Betrieben A, B und C, die jeweils ein Produkt in Massen herstellen:

A stellt das Produkt A her, B das Produkt B und C das Produkt C. Geht der Absatz von Produkt A zurück, während der von Produkt B aber steigt, dann baut A Arbeitsplätze ab, während B seine Kapazitäten erhöht. Das bedeutet längst nicht, dass die von A entlassenen Arbeitskräfte von B aufgefangen werden - A kann in Marseille produzieren, B in Paris.

Würde man aber, ich sage es einfach mal salopp, Güter nach dem Ikea-Prinzip produzieren, wobei nur Grundbaukästen in der Massenproduktion produziert würden, der andere Teil aber z.B. von Handwerkerbetrieben geleistet würde, dann würde es im beschriebenen Fall anders aussehen: A hätte nur wesentlich weniger Arbeitskräfte, weil ein Teil der Arbeit ja von nachfolgenden Stufen ausgeführt würde. Bei einem Absatzrückgang des Produktes A müssten dementsprechend deutlich weniger Arbeitskräfte von A entlassen werden. Die Betriebe wiederum, die bisher aus den "Ikea-Baukästen" des Produktes A das fertige Produkt machten, könnten sehr schnell im nötigen Umfang auf die "Ikea-Baukästen" für das Produkt B umstellen.

Nun werden manche sagen: "Handwerker arbeiten lassen, um Massengüter fertig zu stellen? Viel zu teuer! Man sehe sich einmal deren Stundensätze an!"

Dem muss entgegnet werden, dass Handwerker heutzutage in Massen pleite gehen, weil ihre Auslastung miserabel ist, weshalb sie bei größeren Aufträgen mit Stundensätzen kalkulieren, die weit unterhalb dessen liegen, was sie einem Privatkunden abknöpfen, der sie für eine notwendige Kleinreparatur in Anspruch nimmt. Außerdem kalkulieren sie den Stundenaufwand bei größeren Aufträgen tendenziell zu niedrig, aus Angst, sonst keine Aufträge zu bekommen. Drittens geschieht es ihnen zu oft, dass sie auf unbezahlten Rechnungen sitzen bleiben. Kurz gesagt: Würde man es sicherstellen, dass ein Handwerksmeister mit zehn Angestellten ausgelastet würde und seine Rechnungen auch beglichen würden, so wären Handwerksmeister mit deutlich geringeren Stundensätzen als denen, die sie einem Privatkunden nennen, hoch zufrieden.

Nun mag man einwenden, die beschriebene Vorgehensweise "Ikea" sei zum Beispiel im Falle der Produktion von Autos, Motorrädern, Rasenmähern usw. nicht praktikabel. Dem ist entgegen zu halten, dass das erstens so einfach nicht gesagt sein kann, dass es sich zweitens aber auch noch so verhält, dass man das "Ikea"-Prinzip bereits beim Produktdesign berücksichtigen kann, was Ikea selbst ja auch getan hat: Ein Ikea-Produkt musste in einen möglichst handlichen Karton passen, der zumindest mit einem größeren PKW oder Kombi transportiert und auch platzsparend gelagert werden konnte. Außerdem musste es möglich sein, die Teile mit möglichst wenigen Handgriffen zum kompletten Möbel zu montieren. Designer-Ideen, die sich nicht nach diesen beiden Maßstäben umsetzen ließen, hatten einfach keine Chance, von Ikea realisiert zu werden.

Im nächsten Beitrag werde ich näher auf das Ikea-Beispiel eingehen, anhand eines Produktes, das im Rahmen der Oberziele 1 bis 6 produziert werden könnte. Vorab möchte ich ein Video zum Anschauen präsentieren:





Liebe Grüße

Dipl.-Kfm. Winfried Sobottka

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